Vor einiger Zeit hat der eine von uns gezeigt, daß das Kraut von Sophora pachycarpa etwa 2% Alkaloide enthält, von welchen etwa die Hälfte aus dem niedrigsiedenden Pachycarpin, C₁₅H₂₄N₂, besteht. Es war von Interesse, auch andere Teile derselben Pflanze, vor allem die Samen, die uns in größerer Menge zur Verfügung standen, zu untersuchen. Dabei stellte sich heraus, daß diese Samen ungefähr dieselbe Menge Alkaloide enthalten, wie das Kraut, daß aber in dem aus ihnen gewonnenen Basen-Gemenge niedrigsiedende Teile vollständig fehlen. Die Trennung des Alkaloid-Gemisches in seine Bestandteile bot anfangs ziemlich große Schwierigkeiten, da die einzelnen Alkaloide sich in ihrer Löslichkeit nur wenig unterscheiden und in unreinem Zustande schwer krystallisieren. Nach zahlreichen Vorversuchen gelang es, die Trennung auf Grund der verschiedenen Löslichkeit der Jodhydrate in allerdings ziemlich mühsamer Weise durchzuführen. Das Basen-Gemisch zerfiel dabei fast restlos in zwei gut charakterisierte und schon krystallisierte Basen von der Zusammensetzung C₁₅H₂₄N₂O. Das erste Alkaloid, das wir Sophocarpin nennen, unterscheidet sich von den bekannten Isomeren dieser Reihe durch seine Fähigkeit, mit 1 Mol. Wasser zu krystallisieren, das im Vakuum bei Zimmertemperatur leicht abgegeben wird. Das neue Alkaloid ist linksdrehend, und zwar findet man in wäßriger Lösung [α]ᴰ = -29.4°. In seinem allgemeinen Verhalten ähnelt es sehr den bereits bekannten Basen dieser Reihe: es ist eine starke einsaurige Base, die gut krystallisierende Salze und ein ebenfalls gut krystallisierendes Monojodmethylat gibt. Der Sauerstoff, sowie das zweite Stickstoffatom liegen in indifferenter, reaktions-unfähiger Form vor. Gegen alkoholische Kali ist die Base vollkommen beständig und nähert sich in dieser Beziehung den anderen Alkaloiden der Gruppe. Was nun das zweite, von uns isolierte Alkaloid betrifft, dem wir den Namen Sophocarpidin gegeben haben, so weist es ebenfalls die Zusammensetzung C₁₅H₂₄N₂O auf, ist aber, im Gegensatz zum Sophocarpin, rechtsdrehend. In seinen Eigenschaften zeigt es eine auffallende Ähnlichkeit mit dem von H. Kondo aus Sophora angustifolia (S. flavescens) isolierten Matrin. So liegt der Schmelzpunkt des Sophocarpidins bei 73-76°, während er für die α-Modifikation des Matrins zu 76° angegeben wird. Ebenso kommt die spezielle Drehung des Sophocarpidins, [α]ᴰ = +38.3°, der für das Matrin angegebene, [α]ᴰ = +39.1°, recht nahe. Das Matrin existiert nach Kondo in drei isomorphen Formen (α: Schmp. 76°, β und γ: Schmp. 84°) vor; uns ist es nicht gelungen bei unserem Alkaloid solche verschiedenen Formen zu beobachten. Eine andere, recht charakteristische Eigenschaft des Matrins, durch die es sich von den übrigen Alkaloiden der Reihe C₁₅H₂₄N₂O scharf unterscheidet, besteht darin, daß es sich durch alkoholische Kali leicht zu einer Aminosäure C₁₅H₂₄N₂O₂ – der Matrinsaure – aufspalten läßt. Das Sophocarpidin verhält sich nun gegen dieses Reagens in genau derselben Weise und gibt dabei die Sophocarpidinsaure, C₁₅H₂₄N₂O₂, die fast genau dasselbe spezielle Drehungsvermögen wie die Matrinsaure aufweist, sich aber im Schmp. von dieser nicht unwesentlich unterscheidet. Diese Übereinstimmung in den Eigenschaften ließ den Gedanken an eine eventuelle Identität unseres Alkaloids mit dem Matrin aufkommen. Um diese Vermutung näher nachzuprüfen, haben wir eine große Reihe von Salzen und Derivaten unserer Base dargestellt, um sie mit den von Kondo beschriebenen Matrin-Salzen zu vergleichen. Die Resultate zeigen, daß die meisten von uns erhaltenen Salze krystallwasserhaltig sind, was von H. Kondo für die entsprechenden Matrin-Derivate nirgends erwähnt wird. Leider gibt H. Kondo nicht an, ob und bei welcher Temperatur er die von ihm analysierten Substanzen getrocknet hat, wodurch ein genauer Vergleich erschwert wird. In Betracht der beobachteten Differenzen, besonders aber, weil es uns nicht gelungen ist, die drei isomorphen Modifikationen zu erhalten, glauben wir, daß das von uns isolierte Alkaloid von dem Matrin doch verschieden ist, und haben ihm deshalb einen besonderen Namen gegeben. Die genaue Beantwortung der Frage nach seiner Identität mit dem Matrin wird nur durch direkten Vergleich beider möglich sein. Wir hoffen, daß es uns im kommenden Sommer gelingen wird, uns eine genügende Menge von Sophora flavescens zu beschaffen, um beide Alkaloide einem exakten Vergleich unterwerfen zu können.